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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 02.08.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 216/00
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 3
Ein Ausländer, dessen Abschiebung sich aus nicht in seiner Person liegenden Gründen verzögert, darf äußerstenfalls sechs Monate in Abschiebungshaft gehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn der Ausländer sein die Abschiebung hinderndes Verhalten aufgibt und für die weitere Verzögerung die schleppende Arbeitsweise der Heimatbehörden ursächlich ist.
BayObLG Beschluss

LG Nürnberg-Fürth 4 T 4402/00 AG Fürth XIV 73/99 B

3Z BR 216/00

02.08.00

BayObLGZ 2000 Nr.50

Der 3.Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder am 2.August 2000 in der Abschiebungshaftsache auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. Juni 2000 und der Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 22.Mai 2000 werden dahin abgeändert, dass sich die Haftverlängerung bis lediglich 14.Juni 2000 erstreckt und der weitergehende Haftantrag der Ausländerbehörde abgelehnt wird.

II. Im übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde gegen den genannten landgerichtlichen Beschluss zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines kasachischen Staatsangehörigen.

Mit Beschluss vom 22.5.2000 verlängerte das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit die gegen den Betroffenen zur Sicherung seiner Abschiebung seit 25.8.1999 vollzogene Abschiebungshaft bis längstens 22.8.2000.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 21.6.2000 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

Mit Beschluss vom 27.7.2000 hat der Senat die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 22.5.2000. ausgesetzt.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde führt zur zeitlichen Begrenzung der neuerlichen Haftverlängerung, ist im übrigen jedoch unbegründet.

1. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO), soweit sie den Haftgrund, das Fehlen einer Aufenthaltsgestattung, die Beachtung des Beschleunigungsgebots und die Frage der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb des in § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG normierten Zeitraums betrifft. Insoweit hat das Landgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt und ohne Rechtsfehler gewürdigt.

2. Bezüglich der Dauer der erneuten Haftverlängerung begegnet die Beschwerdeentscheidung jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet (§ 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG) und in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens 12 Monate verlängert werden (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG).

b) Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, das Amtsgericht habe die Abschiebungshaft zu Recht über die seit dem 26.2.2000 überschrittene Haftzeit von sechs Monaten hinaus bis nunmehr 22.8.2000 verlängert. Der Betroffene sei, erst nach dem Anhörungstermin vom 24.11.1999 bereit gewesen, die von der Botschaft seines Heimatlandes verlangten Antragsformulare für Ersatzpapiere auszufüllen und zu unterschreiben, so dass die Ausländerbehörde sie erst am 14.12.1999 an die Botschaft habe senden können. Einen Paßersatz habe die Ausländerbehörde bisher nicht erhalten, da nach Auskunft der Botschaft eine Antwort auf die Rückfrage in Kasachstan noch nicht vorliege. Die ursprüngliche Verweigerungshaltung des Betroffenen wirke daher immer noch fort. Dieser habe zu vertreten, dass durch die Notwendigkeit der Beschaffung von Ersatzpapieren und durch erforderliche Rückfragen in seinem Heimatland zusätzlicher Zeitbedarf entstehe, da er ohne Paß und sonstige Identitätsnachweise in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei.

c) Der vom Landgericht damit festgestellte Sachverhalt vermag die am 22.5.2000 angeordnete neuerliche Haftverlängerung lediglich bis einschließlich 14.6.2000 zu tragen.

(1) zwar liegt eine Verhinderung der Abschiebung im Sinne des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG vor, wenn der Ausländer sich - wie hier - entgegen § 15 Abs. 2 Nr.6 AsylVfG weigert, in dem erforderlichen Maß an der Beschaffung der notwendigen Heimreisedokumente mitzuwirken, und es der Ausländerbehörde dadurch unmöglich macht, die Abschiebung innerhalb der grundsätzlichen Hafthöchstdauer von sechs Monaten durchzuführen (vgl. OLG Braunschweig Nds.Rpfl. 1995, 394; OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 209; OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; Saarl.OLG FGPrax 1998, 241/242).

(2) Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG ist jedoch stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen (vgl. hierzu Saarl.OLG FGPrax 1999, 243). Das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und der Freiheitsanspruch des Betroffenen sind als wechselseitige Korrektive zu sehen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfG InfAus1R 2000, 221/222). Dabei ist einerseits zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig vergrößert (vgl. BVerfG aaO und NVwZ-Beilage 1996, 17/18). Andererseits muß der Betroffene Abschiebungshaft aber um so länger hinnehmen, je größer die Schwierigkeiten sind, die sein Verhalten der Ausländerbehörde bei der Beschaffung der erforderlichen Heimreisedokumente bereitet (vgl. OLG Hamm InfAuslR 1998, 351).

(3) Für die Beurteilung, welche Haftdauer über sechs Monate hinaus im Einzelfall verhältnismäßig ist, kommt der Bestimmung des § 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Saarl.OLG FGPrax 1999, 243/244). Mit ihr ist verbindlich festgelegt, dass ein Ausländer, dessen Abschiebung sich verzögert, ohne dass hierfür ein von ihm zu vertretendes pflichtwidriges Tun oder Unterlassen ursächlich ist, äußerstenfalls sechs Monate in Abschiebungshaft gehalten werden darf. Diese vom Gesetzgeber bezüglich der Verhältnismäßigkeit von Abschiebungshaft vorgenommene Wertung ist auch zu beachten, wenn der Ausländer sein die Abschiebung hinderndes Verhalten aufgibt. Wird er in den darauf folgenden sechs Monaten nicht abgeschoben aus Gründen, die nicht - ihm zurechenbar - auf sein ursprüngliches hinderndes Verhalten zurückzuführen sind, ist weitere Abschiebungshaft grundsätzlich nicht mehr verhältnismäßig (vgl. Saarl.OLG FGPrax 1999, 243).

(4) So liegt der Fall hier. Der Betroffene hat die von der Botschaft seines Heimatlandes verlangten Antragsformulare für Ersatzpapiere schließlich doch ausgefüllt und unterschrieben, so dass sie von der Ausländerbehörde am 14.12.1999 an die Botschaft weitergeleitet werden konnten. Dafür, dass die Abschiebung bis zum 14.6.2000 immer noch nicht durchgeführt war, ist nicht der vom Betroffenen ursprünglich gesetzte Verhinderungstatbestand ursächlich, sondern die dem Betroffenen im Rahmen von § 57 Abs. 3 AuslG nicht zurechenbare schleppende Arbeitsweise seiner Heimatbehörden (vgl. OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 367).

3. Eine Überbürdung der dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten auf die Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, kommt nicht in Betracht. Das Verfahren hat nicht ergeben, dass kein begründeter Anlaß zur Stellung des Haftverlängerungsantrags vom 19.5.2000 vorlag (§ 16 Satz 1 FreihEntzG). Wie dargelegt waren die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Abschiebungshaft bis 14.6.2000 gegeben. Für die Anordnung einer Kostenerstattung reicht nicht aus, dass dem Antrag der Ausländerbehörde bezüglich der Dauer der Haftverlängerung nicht in vollem Umfang entsprochen wird.

Ende der Entscheidung

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